standen sein kann. Würfeln und Combiniren sind hier so absolut heterogen, dass eine mit einem solchen unversöhnlichen Widerspruch behaftete Erfindung, für eine psychologische Unmöglichkeit gehalten werden muss. (Zur praktischen Würdigung der betreffenden Abart, vgl. man meinen Aufsatz Indisches Würfelvierschach in der D. Schachzeitung 1874 pp. 33 ff.). Wir wissen aus Webers Textausgabe, dass das Würfelschach von Raghunandana bei Gelegenheit der Feierlichkeiten des Vollmondfestes eingeführt wird. Mit diesem Feste ist zu gewissen Zeiten ein Durchwachen der ganzen Nacht verbunden, bei welchem man sich die Zeit mit allerlei Kurzweil, insbesondere auch mit Würfelspiel vertreibt. Nach Ansicht Raghunandana's ist nun darunter kein gewöhnliches Würfelspiel zu verstehen, sondern eine mit Würfelspiel verbundene Varietät des Schachspiels 16). Für ein solches (non sine Baccho) hingeträumtes Patience-Spiel 16) Auch Krishna's Geburtsfest umfasst ein solches Durchwachen der ganzen Nacht wie das Vollmondsfest (kaumudî etc.), mit allerlei Kurzweil: Tanz, Musik, Gesang, Anhören alter Legenden, Recitiren von Hymnen gegen die Rakshas, u. s. w. Tschaturanga kommt aber nicht vor (vgl. Weber am a. 0. pp. 253, 54, 56, 57, 59, besonders aber 301). indischer Kultusnächte mag sich das dumme Würfelschach während der Verrottungsperiode indischer Zustände geeignet haben, allein mit Schach theilt es nur den Namen. Es lag ja überhaupt schon eine Analogie in dem Tschaupurspiele vor. Dies Spiel (vgl. das Diagramm S. 80 und Hyde, 1694 II. p. 68: De Indorum Ludo Tchupur) wird eben mit länglichen Würfeln, mit 4×4 Figuren von gleichen Farben wie das Vierschach (Gelb, Grün, Roth und Schwarz) gespielt 17). Drittens enthält das Vierschach innerlich entschieden moderne Instanzen: zunächst das unzweifelhaft secondäre Boot, aber ganz besonders eine neuere Regel über die Verwandlung der avancirten Fussgänger. Im alten Schach wird der Fussgänger im achten Felde des Gegners ausnahmslos Fers, im Vierschach dagegen wird er, ganz wie im europäischen Zopfschach des vorigen Jahrhunderts, zur Figur des erreichten Feldes. Auch in Europa ist das Drei-, Vier-, u. s. w. Schach überall als Auswuchs des Normalschach und Ausgeburt der Schachstümperei entstanden. Dass das Boot, wie Jones und Colebrooke schon richtig vermuthet haben, secondär, der Wagen dagegen ursprünglich, ist, geht nicht blos aus dem Tschaturanga = Heer, sondern auch aus der Vergleichung aller Formen des Tschaturanga Kriegsspiel (das Neutrum caturanga bedeutet sowol Spiel als Heer) unwiderleglich hervor. Wir besitzen wenigstens folgende Aufstellungen: 1. Im Heer: = 2. Tschaturanga 18): 5. Parsi in Bombay: 6. Tschinesich: 7. Birmesisch: 8. Borneo: 9. Siam: = = = = 17) Die Farben der vier Hauptkasten sind: Weiss Brahmanen (Priester), Roth Könige und Krieger, gelb Vaiçya (angesiedelte Ackerbürger), Schwarz Wenn man die Farben der Çudra (Handwerker), s. Indische Studien X, 10. Spielfiguren darauf beziehen will, könnte man sagen, dass die Farbe des Priesters absichtlich ersetzt wurde, da das Spiel unter dessen Gotteswürde steht und die neueste Redaction des Gesetzbuchs ihm das Spiel überhaupt, auch als Zerstreuung oder Zeitvertreib, verbietet. Das angedeutete Spiel wird noch jetzt in Indien und Persien, besonders von den Frauen gespielt. Murteza erklärte es für,,sehr leicht". Ein (dem Schachtuch analoges) Original aus Bombay, sah ich bei Professor Weber. 18) = Zweischach wird es 1799 ausdrücklich von Colebrooke erwähnt, 8. oben p. 71. Ein altes Gesetzbuch giebt nach ihm ebenfalls den Wagen an. v. d. Linde, Schach. 6 Die mit einem * bezeichneten Stücke haben den Gang des ursprünglichen Elefanten (unseres Thurmes; bis in Japan werden wir dem Wagen auf dem Schachbrett begegnen, wogegen der Nachen (das Boot) sich als Neuerung ausweist. Das indische Kriegsspiel (Tschaturanga) muss sich bald nach Persien und von dort nach Arabien geflüchtet haben, wo es seine eigentliche Pflege erst fand, um dann als etwas Neues (die Geschichte bietet zu dieser Erscheinung eine Menge Analogien!) nach Indien zurückzukehren. (Jones' Gewährsmann scheint das eigentliche Schach kaum zu kennen). Ob wir überhaupt noch Aufschlüsse, die gleichzeitig Beweiskraft besitzen, aus Indien zu erwarten haben, ist zum mindesten höchst zweifelhaft 19) Da ,, bei dem vernichtenden Einfluss des Clima's die Abschriften der Sanskritwerke überaus häufig wiederholt werden müssen", da im Allgemeinen die ältern indischen Handschriften nur 3-400 Jahr alt sind und über 500 Jahr schwerlich irgend eine hinausgehen wird; da ,,mit der sogenannten diplomatischen Kritik daher sehr wenig oder gar nichts anzufangen ist, denn auch nicht einmal auf den Text, der in Citaten vorliegt, kann man sich verlassen; da diese Citate meist aus dem Kopfe gemacht wurden, wobei Irrthümer und Veränderungen natürlich unvermeidlich sind" (Weber, Vorlesungen p. 172), da besonders Spieltexte sich gewiss noch am ehesten in,,flüssigem Zustande" befinden werden, da schliesslich das chronologische Chaos nur selten befriedigend geordnet werden kann, bin ich für meinen Theil ziemlich über die Tragweite etwaiger späteren Entdeckungen in Sanskrittexten beruhigt. Wollte man das friedliche Kriegsspiel als eine buddhistische Erfindung hinstellen, so liesse sich die Hypothese nach der Weise der Conjecturalgeschichtschreibung ausserordentlich mundgerecht machen. Ich deute nur Folgendes an. In dem unbedingten Verbot des Blutvergiessens begreift der Buddhismus auch das Verbot des Krieges schlechthin, des Vertheidigungs-, wie des Eroberungskrieges, des gerechten, wie des ungerechten. Könige welche an demselben Wolgefallen finden, ehrgeizige Eroberer, blutige Tyrannen u. s. w. verfallen, gleich den Mördern der Heiligen, den 19) Vgl.: [Auszug aus dem Monatsbericht der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin]. 8vo. pp. 562-68. Bericht aus der Gesammtsitzung vom 18. Juli 1872, der Nachträge zu Prof. Weber's Abhandlung über das indische Schachspiel enthält. Erwähnt werden: Caturañgakriḍanam. Dies Schriftchen wird in Rajendra Lala Mitra's Notices of Sanskrit Mss. II, 1. p. 11 No. 539 aufgeführt. Die Stelle ist vielleicht mit dem schon von Weber behandelten Texte identisch. Das Tschaturangavinoda folgt weiter unten. Vater und Muttermördern, der schrecklichsten, tiefsten der acht grossen Gluthöllen (Köppen I, 459). So wäre das friedliche Kriegsspiel eine buddhistische Parallele zu der Verheissung des jüdischen Profeten, dass die Schwerter zu Sicheln u. s. w. werden sollen. Seit dem Anfange des 6. Jahrhunderts flüchten Buddhisten wegen Bedrückungen seitens des wieder zum Sieg gelangenden Brahmanenthums aus Indien nach Persien. Ceylon, nach einer indischen Sage Geburtsort des Schachspiels, ist gleichzeitig im Besitze der berühmtesten Reliquie des Buddha (seines enormen Zahns nämlich). Einen anderen Zahn des Buddha sah der tschinesische Pilger Hiuan Tchang 629-645 in Kanodscha, einer Stadt, die man ebenfalls mit der Schachlegende in Zusammenhang gebracht hat. Nach der japanischen Tradition kam das Schach im 9. Jahrhundert mit dem verbesserten Buddhathum dorthin. Ferner sind es in Asien besonders die buddhistischen Länder, wo Schach gespielt wird: Birma, Siam, Tibet, Tschina, Japan, Ceylon, Java (die sogenannten Çivabilder dieser Insel sind Buddha's). Die schachspielenden Mongolen verdanken ihre Schrift und Litteratur (13 Jahrh.) dem Buddhismus u. s. w. So liesse sich dann weiter plausibel machen, wo das Stillschweigen der indischen Litteratur über das Schach herrührt: im 10. Jahrhundert war der Buddhismus in Indien selbst vollständig wieder ausgerottet und die Brahmanen haben erst später das Schach von den Persern gelernt. Der Buddhismus hatte sich indessen nach Tibet, Tschina u. s. w. geflüchtet, wo wir das alte Schach häufiger als in seinem Ursprungslande antreffen. Ich weiss aber von allen diesen schönen Sachen nichts. Wir wissen nur, dass der Islam 652 schon ganz Persien erobert hatte, dass die Perser die ersten Lehrmeister der Araber in der Wissenschaft wurden, dass diese von den Persern bald auch die Hochachtung vor der indischen Weisheit lernten. Es wurden theils die unter den Sâsaniden in Pehlwi übersetzten indischen Werke (nach einer syrischen Notiz hat ein buddhistischer Mönch unter dem Patriarchen Ezechiel c. 570 das indische, buddhistische aber noch ganz schachlose Fabelbuch Pantschatantra, Fabeln des Bidpay, Pilpay, aus dem Indischen übersetzt), daraus in das Arabische übertragen, theils neue indisch-persisch-arabische Uebersetzungen veranstaltet. Die indische Fabel- und Märchendichtung bildete den Grundstock der unter dem Namen „Tausend und eine Nacht" bekannten Erzählungen, die Fabeln des Pilpay wurden bereits in der Mitte des 8. Jahrhunderts unter dem Namen Kalila wa Dimna übertragen, sodann das Buch des Sindbad (Evvinas) oder der ,,sieben weisen Meister". Diesen indisch-persisch-arabischen Weg zeichnet auch die Etymologie der Schachnamen, das Schachspiel begleitet sogar in der Sage die genannten Volksbücher wie ein Schatten (vgl. Disciplina Clericalis und Gesta Romanorum), und wir stehen also mit der Annahme der Verbreitung des Schachspiels aus Indien über Persien nach Arabien um das achte Jahrhundert gewiss auf historischem Boden. Den Indern gebührt die Ehre seiner Erfindung, den Arabern die Ehre seiner rechten Würdigung, eigentlichen Pflege und Verpflanzung nach Europa, wodurch es erst zu unserem heutigen wunderbar schönen Spiel des Geistes geworden ist. Bevor wir die Blüthe des Tschaturanga (Schátrandsch) bei den Arabern betrachten, wollen wir das hinterasiatische Tschaturanga nebst seinen Abarten erledigen. == C* In Siam spielte man 1687 entweder nach ts chinesischer oder nach birmesischer Manier 20). Die Leipziger Illustrirte Zeitung vom 16. April 1864, No. 1085 S. 266, enthält folgende Notiz von Dr. Adolf Bastian in Bangkok: Schach in Siam. Das siamesische Schachspiel gleicht in der Art der Züge ganz dem birmesischen und unterscheidet sich von demselben nur in zwei Punkten: 1) dass die Aufstellung nicht, wie bei dem birmesischen, in dem Belieben der Spieler liegt, sondern eine durch den Gebrauch fest gegebene ist, wonach die Soldaten durch eine offen bleibende Reihe von den Offizieren getrennt stehen (d. h. die Soldaten stehen a3-h3 und a6-h6), 2) dass jeder Soldat, der auf dem (sechsten) Felde der gegenüberstehenden Soldaten (soll heissen: der auf dem gegenüberstehenden Randfelde) anlangt, ein Offizier vom Range des Met (der Königin) wird, so dass zuweilen mehre Met zu gleicher Zeit auf dem Bret sein können. Die Soldaten oder Peone werden gewöhnlich durch Muscheln (Cowrie), Bia genannt, dargestellt und heissen deshalb auch Bia. Wird die Bia zum Range eines Met erhoben, so wird sie umgedreht, so dass sie mit der Oeffnung nach oben zu liegen kommt. Die Offiziere werden genau in derselben Weise wie beim europäischen Schachspiel aufgestellt. Die Thürme heissen Rüa (Boot), die Springer Ma (Pferd), die Läufer Khon (Edelmann), der König Khun (König) und die Königin Met (ein kleines Bischen). Die letztere Bezeichnung soll andeuten, dass diese Figur nur ein kleiner Edelmann ist, da die Bewegungen der Königin [= Fers] im siamesischen Schachspiel sowol wie im birmesischen weit beschränkter als in dem unsrigen sind." Eine Notiz desselben Verfassers (Schach in Birma, Illustr. Zeitung vom 4. Juli 1863, No. 1044 p. 18, s. Forbes p. 259) lautet: Ueber das birmesische Schachspiel gehen uns von dem zur Zeit in Birma, im nordwestlichen Hinterindien, weilenden Dr. Adolf Bastian die nachfolgenden 20) Du || royaume de Siam || Par Monsieur de La Loubère | Envoyé extraordinaire du Roy || auprès du Roy de Siam en 1687 & 1688. || Tome second. " Contenant plusieurs Pièces détachées. || A Paris, || Chez la Veuve de Jean Baptiste Coignard, ... | M.DC.XCI. || Avec privilege de sa majesté. || 8vo. pp. 122-28: Jeu des Echecs des Chinois. Mit einer Tafel: Echiquier Chinois. Von den Siamesen sagt der Autor (I, 191): ils jouent aux échecs à nôtre manière (was er entschieden nicht verstanden hat!). & à la manière chinoise. Nachdrucke: Suivant la Copie imprimée à Paris. || A Amsterdam, || Chez Abraham Wolfgang, prés || de la Bourse, 1691. || 8vo. II, pp. 97 ff. A Amsterdam, || Chez Henry & la Veuve de Theodore Boom. MDCC. 8vo. II, pp. 97. ff. In der deutschen Uebersetzung, Nürnberg 1800, fehlt der 2. Bd. und somit auch das Schach. 21) Ich muss für das gesammte asiatische Schach, mit Einschluss der Araber und Perser, ausdrücklich bemerken, dass man sich die Diagramme blos liniirt, d. h. ohne Farbenwechsel der Felder zu denken hat. Die Menge christkatholischer Pfaffen muss der ultra- und cismontane Leser, wegen des Mangels an geeigneten Figuren, gütigst entschuldigen. Auch der moderne Thurm ist nicht am Platz. |