einem Sack hervor und stellt sie auf das Brett; nach vollendetem Spiel wartet aber Aller, ungeachtet ihrer verschiedenen Stellung im Leben und im Spiele, der nämliche Ort, und wie der König dabei wol zuunterst im Beutel zu liegen komme, so könnten auch die Grossen der Erde zur Hölle, die Armen aber in den Himmel gelangen. Auf dem Brett des Lebens spielt der Teufel mit dem Menschen und sagt ihm Schach (eschack), wer sich dann nicht schnell bekehrt, dessen Seele wird mit Matt (Math) geraubt")." . Die interessante Stelle hat das komische Schicksal gehabt, aus dem ganzen Werke herausgenommen zu werden und in einigen englischen Handschriften (z. B. Harl. 2253, f. 135, um 1307-27) als besonderer Aufsatz die Ueberschrift zu bekommen: Moralitas de Scaccario, per Dominum Innocentem Papam. Darnach sollte das Stück ein Erguss Innocenz III. (11981216) sein, oder, wenn man diese Urheberschaft bezweifelte, so überwies man es, mit Hyde (1694, I, p. 179) und nach ihm Verci (1778, p. 70) an einen angeblichen englischen Mönch Innocent Pope, der im Anfang des 13. Jahrhunderts gelebt habe. Der Irrthum ist um so befremdender, da der Inhalt für einen solchen papalen Ursprung gar nicht passte, denn der Autor verräth eine ziemlich unclericale Gesinnung. So sagt er von den Alten: „Die gehörnten Alphini sind Bischöfe, welche aber nicht wie Moses auf göttliches Geheiss, sondern vielmehr durch königliche Macht für Geld und gute Worte erhoben werden. Diese Alphini gehen und nehmen schräg über die Felder, da fast alle Prälaten durch Hass, Liebe und Frauengunst verdorben sind). (Alphini vero cornuti sunt episcopi, non ut Moyses ex colloquio divino, sed potius regio imperio, vel prece vel precio, sublimati. Isti alphini oblique currunt et capiunt, tria puncta pertranseundo, quia fere omnes praelatos pervertunt odium et amor et mulierum favor, ne delinquentes reprehendant et contra vitia latrent, sed... facti sunt vitiorum promotores et Dyaboli procuratores"). 6) Wackernagel citirt aus Wolfs nl. Sagen 282 einen Mönch mit einem Gespenst (dem Teufel) um seine Seele spielend; Sieger, baut er von dem gewonnenen Gold und Silber das Kloster Clairmarais (bei Cambrai). S. 212 würfeln Engel und Teufel um eine Seele. 7) Seine weitere Beschreibung der Züge ist nicht ganz genau: ,,In diesem Spiele geht auch der König ringsherum gerade (directe) und nimmt überall immer in gerader (!) Richtung zum Zeichen, dass der König alles mit Recht nimmt und in nichts, mit Hintansetzung der gegen Alle zu beobachtenden Gerechtigkeit, vom geraden Wege abweichen soll (In isto etiam ludo rex vadit circumquaque directe et capit undique semper directe, in signum quod rex omnia juste capiat et in nullo, omissa justitia omnibus exhibenda, obliquare debet, sed modo quidquid agit justitia reputatur, quia quidquid principi placet juris habet vigorem). Die Königinn oder Herrinn, welche Fers genannt wird, schlägt und geht schräg (Regina, sive domina, quae dicitur Ferze, capit et vadit oblique). Der Roch zieht gerade und nicht schräg: Rochus est justitiarius perambulans totam terram directa tamen linea ita quod nihil obliqua capiat." Nach diesem Wortgebrauch ist die Beschreibung der Bewegung des Königs falsch. Die Sprünge des Königs und des Fers scheint Gallensis noch gar nicht zu kennen, trotzdem er sagt, dass der Fussgänger, der auf's letzte Feld gelangt sei, von dort über zwei Felder und schräg auf's dritte geht (tunc duo puncta pertransit, tertium obliquando). 8) Vgl. Dr. Prideaux, Hypomnemata Logica, Rhetorica, Physica &c. Oxon. 1657 8vo. Den Schluss bildet pp. 375-79: Moralitas de Scaccario, secundum Dominum Innocentium tertium. Eine (ungenaue) englische Uebersetzung ist zu finden bei Twiss, Chess. Vol. II. pp. 4-7 und im Chess Player's Chronicle, Vol. I. pp. 45 Der glückliche Griff des Gallensis, bei dem wir die älteste Spur der rein symbolischen Betrachtung des Schach vor uns zu haben scheinen, fand bald einen weit verbreiteten Anklang; so sagt, um das Jahr 1345, der viel gewallfahrtete Hermann von Fritzlar in seiner Predigtsammlung: Ein meister glichet dise werlt eime schachzabele: dá stên ûfe künege unde küneginne unde ritare unde knappen unde venden. Hie mite spilen si. Wanne sie müede gespilet haben, so werfen si den einen unde den anderen in einen sak. Alsó tuot der tôt, der wirfet ez allez in die erden: welich der riche si oder der arme si oder der babes sî oder der künec, daz schowet an deme gebeine. Der kneht ist dikke über den herren geleget, so sie ligen in deme beinhûse.“ (Pfeiffer's Deutsche Mystiker I, p. 164). Auch Hugo von Trimberg (s. im 2. Bande) spricht im Anfang des 14. Jahrhunderts, Cervantes 1605 im Don Quijote (in der Uebersetzung von Soltau, Leipzig 1825, III. 116) denselben Gedanken aus 9). Ueber Schach im Todtentanz s. Massmann pp. 88 ff. 10) Beil. S. 153, und Varia Sebastiani Brant Carmina (Olpe, 1498): De pericoloso scacorum ludo Inter mortem et humanam conditionem. Sebastianus Brant. Angelus habens horologium. Vitae summa breuis: vigili circumspice mente: Kurtz ist die zyt, låg für dich guott -47: A morality on chess. By the Lord Pope Innocent. Darnach französisch bei Basterot 1863 pp. 43-45, mit der seltsamen Bemerkung: Cette pièce, qu'on a faussement attribuée au pape Innocent VII (1404), paraît avoir été écrite par un moine du nom de Innocent, vers l'an 1400." Massmann (p. 103) und Schmid (p. 78) haben aus der Moralitas sogar ein Gedicht gemacht. Es ist das Verdienst von der Lasa's, dessen Ausführung ich gefolgt bin, die Autorschaft des Gallensis (in der Schachzeitung 1869, pp. 231-234) wieder hergestellt zu haben. Der Engländer Alexander von Hales sammelte 1429 eine Menge Abhandlungen, welche alle den Zweck verfolgten, dem Laster zu steuern. Darunter befanden sich auch Ermahnungen gegen schlimme Spiele, neben welchen das Schachspiel als eine erlaubte Ausnahme erwähnt wird. Diese Sammlung ist im Jahre 1496 anonym gedruckt als Destructorium vitiorum, bei Anth. Koberger zu Nürnberg, in einem starken Foliobande mit sehr kleiner Schrift und doppelten Spalten. Pars IV. Cap. 23. handelt von der Verderblichkeit des Spielens im Allgemeinen, und hieran knüpft der Autor zum Schluss, unter dem Buchstaben c, 3, Spalte Bemerkungen über das Schach, in denen er auf Gallensis verweist und mit unwesentlichen Erweiterungen und nur mit sprachlichen Aenderungen dessen Artikel vollständig wiederholt. Die Worte Schach und Matt sind dabei aber schaeck und schackmate geschrieben, was an die englische Aussprache erinnert. Neues enthält der Abschnitt nicht, ausser dass sich auf Grund einer Bemerkung annehmen lässt, das Schach sei im Anfang des 15. Jahrhunderts in England um einen Einsatz gespielt worden. 9) Cervantes lässt im 64. Cap. Sancho Panza sagen: ,,Como aquella del juego del Axedrez, que mientras dura el juego, cada pieza tiene su particular officio, y en acabandose el juego, todas se mesclan, juntan, y barajan, y dan con ellas en una bolsa, que es como dar con la vida en la sepultura." Die Italiener filosofiren: „La vita dell' uomo è somigliante ad una partita di Scacchi, in cui ciascuno conserva il suo grado secondo la propria qualità. Finita che sia, re, regine, pedoni, cavalli, alfieri sono tutti messi indistentamente nello stesso sacco. 66 10) Im Münster zu Strassburg befand sich ein (1715 abgetragenes) Gemälde des XV. Jahrhunderts, auf welchem ein mit dem Stundenglas dargestellter Engel sagte: Mors loquitur. Adsum nulla mora est: patere inuiolabile schach matt Kein zyt ich beitt, schach mats, ich sprich Caesar in persona humanae conditionis loquitur. Mors inferius loquitur. Quid tibi mortalis cordi est homo: quid ve superbis? Non ducis imperium: non regia mitra coronae: Scaeptra nec orbis item: nec praesulis infula sancta: Omnia disturbans mortalia iura resoluo: Et cadit ante meos: quicquid in orbe, pedes. O mensch, merck gar eben Ihm gegenüber erschien der Tod, mit einem Schachspiel vor sich, sprechend: Neben dem Engel stand Päpste, Kaiser, Könige, darunter: Ich sag dir, es ist daran, du solt totlich schachmatt han. der Reigen aller geistlichen und weltlichen Herren Bischöfe, Priester, Ritter, Grafen, Frauen u. s. w. und In diszem spil, o herre myn, myn sele loss dir beuolen syn. Unter dem Tode aber standen (unter den lateinischen Beiversen 1480) folgende Reime: F. W. Edel, die neue Kirche in Strassburg, Strassburg 1825, 8vo, S. 88, aus einer handschriftlichen Sammlung der vorzüglichsten Denkmäler und Inschriften in den Kirchen Strassburgs, angefertigt von Sebastian Mung von Boffzheim. In dem alten Lübecker Todtentanz sagt der König (nach den 1701 von Nathanael Schloss modernisirten Versen) zum Tode: Streckt denn des Todes Faust auch Königen ihr Ziel? Nun bin ich durch den Tod besetzt und Schachmatt worden. Massmann erwähnt noch einen alten Kupferstich von B. et R. (Museum auf der Bibliothek zu Basel, Mappe der unbekannten Meister, K. I, 6, S. 39 No. 32), der auf der einen Seite Kaiser, König, Kurfürst, Frauen u. s. w., auf der andern den Papst mit Cardinal, Bischof etc. darstellt. Papst und Kaiser spielen Schach auf einem Tisch, der zusammengeklappt werden kann. Hinten steht ein Engel mit der Sanduhr; rechts beim Papst der Tod, der Schach geboten hat. Der Kaiser ist betrübt. Vorn guckt ein halber Tod, der auf ein leeres Feld zeigt. Vgl. auch das Motto des Strassburger Philidor w. u. S. 396. Arbitrii nostri est, campo mactare vel albo Ich lår all kirchen, hoff vnd sal, Vnd trib ein gmeynlich, vff recht spiel, On für butz matt ich wen ich will. Das einmal volksthümlich gewordene Gleichniss von dem Schicksalsund Todesschach lebte fort. So finden wir es wiederholt von Johann Raulin: Accidit eis sicut accidit in familia ludi scaccarii: ludo enim durante rex omnia personagia excellit, ubi perdatur, et accipit; sed in fine, cum clauditur in sacculo cum cetera familia, aliquando est profundius in sacco quam ceteri. Sic erunt novissimi primi et primi novissimi (Doctrinale mortis. Parisiis, 1518. 4to. Bl. 5o). Von Melanchthon: „Wenn ich reich wäre, so wollte ich mir ein gülden Schach und silbernen Kartenspiele werklich lassen zurichten zu einer Erinnerung. Denn Gottes Schach und Karte sind grosse, mächtige Fürsten, Könige, Kaiser, da er immer einen durch den andern sticht oder schlägt, das ist aushebt und stürzt. Nun ist Ferdinand die vier Schellen, der Papst die sechs Schellen, der Türke acht Schellen, der Kaiser ist der König im Spiel. Letztlich kommt unser Herr Gott, theilet das Spiel aus, schlägt den Papst mit dem Luther, das ist sein Tauss." Noch am Ende des vorigen Jahrhunderts schreibt Langbein in seinem Gedichte „An Freund Hain": Denn wie bei dem Schachspiel man am Ende Könige und Bauern drauf und drauf In ein Kästchen wirft so hört der Stände Ganz anders symbolisirte der Cistercienser Mönch Guil. de Guilleville das Schach in seinem Reimwerke: Le Pèlerinage de l'homme (geschrieben um 1350, gedruckt: Paris, Verard, 1501). Der Verfasser lässt den König, an der Spitze seiner Figuren, die Fundamente der Kirche angreifen und untergraben (Twiss, Misc. II. p. 14, vgl. p. 63; in einer englischen Uebersetzung vom Jahre 1504 findet sich ein xylografisches Schachbrett, das unter den Figuren den Narren zeigt). Dagegen sagt der ,,deutsch und oft vor vielen Tausenden von Linden herab predigende Bruder Bechtold 1260" (Predigten, herausgegeben von Kling, Berlin 1824, S. 38): „Ez (d. i. grôz ere und guot) sol iwer schâchzabel sin und iwer federspil" u. s. w. Ein älteres französisches Gedicht, Ch'est li Jus des Esqiés, von 298 achtsylbigen Versen (Ende des 13. Jhts.), das in unklarer moralisirender Weise ebenfalls über das Schach handelt, findet sich in Paris (Mss. de la Valière, früher No. 2726, jetzt 81 fol. 231 verso -233 verso, S. Histoire littéraire de la France 1854, XXIII, p. 291, XXV, p. 35. Der Verfasser nennt sich auf der zweiten Spalte der letzten Zeile: Engebrans d'Arras fist ce dit. Eingehender müssen wir uns mit dem Hauptwerke der Schachsymbolik des Mittelalters, mit der Schachethik des Jacob von Cessoles (de moribus hominum et officiis nobilium ac popularium, von den Sitten der Menschen und den Pflichten der Vornehmen und Niedern) beschäftigen 11). Da wir nicht ein einziges gleichzeitiges Zeugniss über seinen Namen, sein Vaterland und seine Zeit besitzen, wenden wir uns, hauptsächlich nach v. d. Lasa's gediegener auszugsweiser Uebersetzung (Beil. pp. 19 ff.), unverzüglich an das Buch selbst. Zu der jetzt folgenden dankenswerthen gelehrten Abhandlung des berühmten hebräischen Bibliografen Dr. Moritz (Moses) Steinschneider habe ich ausdrücklich zu bemerken, dass mit der nächsten (155.) Seite der erste (Berliner) Druck meiner Geschichte des Schachspiels anfängt. Die litterarische Richtigkeit von Steinschneiders gründlicher Arbeit wird nirgendwo durch den seitdem gewonnenen, im zweiten (Leipziger) Druck begründeten neuen Standpunkt beeinträchtigt und es lag somit kein Grund zur Umarbeitung des ,,Schach bei den Juden" vor. Im Gegentheil: der aufmerksame Leser wird S. 185 (aus der Bemerkung, dass das Schach ,,höchst wahrscheinlich" ursprünglich als Würfel- also Zufallspiel erfunden worden) schon deutlich den in meinen Unterredungen mit dem Verfasser immer bestimmter auftauchenden, jetzt zur historischen Gewissheit gewordenen Zweifel an der Richtigkeit der herrschenden Auffassung herausfühlen 12)! 11) Spiele und Gewerke hat auch der Protestantismus noch am Ende des 17. Jahrhunderts, in weit gekünstelterer Form, auf die Kanzel gebracht. Wilh. Ernst Tentzel, der in der Bibliotheca Curiosa 1704 pp. 541 ff. das Werk des Hyde excerpirte, schliesst diesen Auszug mit den Worten: ,,Vnd weil ich mich hierbey allzulange praeter opinionem aufgehalten, soll das andere Buch (Hydii) worinnen 36 meistentheils denen Europæern unbekannte Spiele erklæret sind, vor diesmahl zurücke bleiben, damit durch künftige ausführliche Recensirung nicht allein die Liebhaber der Spiele vergnügt werden, sondern auch diejenigen unter den Herren Geistlichen, welche sich gefallen lassen möchten, einem vornehmen Superintendenten nachzuahmen, der vor etliche 20 lahren alle Sonn- und Festtage durchs gantze Iahr pro Themate ein gewisses Spiel aus dem Evangelio vorzustellen, und die gantze Predigt darnach einzurichten pflegte." Ein,,verdienstlicher" Prediger an der Sebaldskirche in Nürnberg vertheilte 1692 das ganze Kirchenjahr über alle mögliche Handwerke, z. B.: die Maulkorbmacher (Text: als Christus den Sadducäern das Maul gestopfet); die Bierbrauer (Text: was sollen wir trinken?); die Uhrmacher (Text: es war die siebente Stunde); die Wirthe (Evang.: Christus macht Wein aus Wasser; die Wirthe umgekehrt?) u. s. w. 12) Zum Theil mit der mittelalterlichen Schachromantik, zum Theil mit ihrer Schachsymbolik hängt die Schachheraldik zusammen. So erzählt eine heraldische Legende, dass der Ahnherr der Reichsgrafen von Loeben, Daniel Lost, sich in ein sehr gewagtes Schachspiel mit einer afrikanischen Königinn 723 (!) eingelassen habe: das betreffende Wappen führt nämlich einen Mohren und ein geschachtes Feld. Eine andere Schachsage haben die Freiherren von PrittwitzGaffron: dieselben wollen von einem slawonischen Krieger Holub abstammen, der so gewandt im Schachspiel war, so meisterhaft das Brett beherrschte, dass er den Namen Brettwitz erhielt. Auch ihr Wappen ist ein Schachbrett (Arthur Kleinschmidt, Zur Geschichte des Adels, Uns. Zeit, 15. Februar 1874, S. 237). Weder,,vero" noch ,,ben trovato." Die gesammte Schachheraldik wird von Gustav Adalbert Seyler, Redacteur des Deutschen Herold, behandelt werden; ich verweise daher im Voraus den Leser auf diese in guten Händen befindliche Detailforschung und enthalte mich meinerseits einer näheren Zusammenstellung des einschlägigen Materials. |